Sonntag, 13. Oktober 2013

Mediation im Unternehmen: zwischen Freiwilligkeit und Dienstanweisung

„Die Mitarbeiter müssen selbst entscheiden, ob sie an einer Mediation teilnehmen oder nicht!“  ...  „Die Mitarbeiter sollen selber entscheiden, ob und an welcher Weiterbildung sie teilnehmen.“ ... "Unsere Mitarbeiter sind nicht selbständig genug..." "Können Sie mit einem Personal-/ Teamentwicklungsworkshop helfen, dass unsere Mitarbeiter selbständiger arbeiten?"

Vielleicht kennen sie solche oder ähnliche Argumentationen oder Aufgabenstellungen? Vielleicht sogar in Ihrem Unternehmen? Ungewollt sind diese Argumente oft Ursache und Hinweise auf Störungen und Konflikte in Unternehmen, Teams und Organisationen. Und, oft sind sie Ausdruck eines grundlegenden Problems: unzureichender oder fehlender Führung der Mitarbeiter durch das Management.

Und was hat Führung mit Mediation oder mediativen Techniken zu tun? 

Viele Mitarbeiter und Teams wollen geführt werden. Für viele ist es ein Bedürfnis, geführt zu werden. Wenn für sie das Bedürfnis nach Führung erfüllt ist, bedeutet das, dass sie sich gut und vor allem sicher fühlen. Für sie ist es wichtig zu wissen, wie sie etwas machen sollen. Sie erwarten diese Klarheit, die Struktur und Ordnung, die Informiertheit als Autorität an der sie sich orientieren. Sie vermeiden für sich bewusst die Risiken, die mit der Übernahme von Verantwortung für Mitarbeiter, Teams oder komplexe Prozesse verbunden sind. Gleichzeitig ist für sie Führung ein Ausdruck von Respekt und Wertschätzung. In diesem Sinn ist Führung ein wesentlicher Baustein um im Team souverän mit Konflikten umzugehen und Streitigkeiten zu vermeiden. 

Führung ist eine wichtige Voraussetzung, dass sich Teams selbst organisieren und eigenverantwortlich arbeiten können. Ohne Führung können Teams und Mitarbeiter ihre Position im Gesamtsystem, im Unternehmen, ihre Grenzen, ihre „Schnittstellen“ und die Erwartungen der Anderen an ihr Handeln nicht bestimmen. Sie sind dazu auf klare Anweisungen ihrer Führungskräfte angewiesen. Fehlt diese Klarheit in den Anweisungen ihrer Führungskräfte führen diese oft zu Mißverständnissen, Störungen und letztlich zu Konflikten. Typischer weise sind es solche Aussagen wie :“ … mach das bitte anders!“ „… so geht das gar nicht!“ „… wir machen das hier ganz anders!“ die die Empfänger (völlig) demotivieren und verwirren. Wie das? 

Jede Anweisung, die keinen klaren Fokus (was soll der Empfänger machen) enthält, erfordert eine Interpretation. Und oft wird sie fehlinterpretiert werden. Neben der Möglichkeit diese Aussage inhaltlich zu interpretieren, enthalten alle diese Botschaften eine mehr oder weniger deutliche Wertung! Diese Wertung wird sehr viel eher als der inhaltliche Teil der Bitte oder Botschaft gehört, wahrgenommen und interpretiert. So wird eine scheinbar sachliche Bitte von dem Empfänger schnell als Angriff gegen ihn (persönlich) gewertet. Die Frage ist dann nur, wie intensiv er sich gegen einen solchen (von ihm vermuteten) Angriff wehrt.

Beobachten Sie einmal, wie oft eine Bitte oder Anweisung keinen klaren Fokus beinhaltet und wie oft sie (bewußt oder unbewußt), mit einer Wertung verbunden ist. Wahrscheinlich werden Sie erstaunt sein, wie schwer es ist, eine Bitte oder Anweisung, klar, handlungsorientiert (fokussiert) und ohne jede Wertung zu formulieren. Vor allem dann, wenn Sie mit dem vorherigen Handeln dessen, an den sich Ihre Botschaft richtet, nicht einverstanden waren.

Und genau hier sehe ich die Aufgabe einer Führungskraft. Als Führungskraft muß ich solche Störungen erkennen, die die Mitarbeiter, Partner oder Kunden hindern sich für ihre Aufgabe, für ihre Ziele einzusetzen.  Als Führungskraft sollte ich ihnen zeigen oder sagen, welches Handeln ich in meiner Verantwortung für eine Situation, einen Prozess, ein Unternehmen, ein Team oder eine Organisation von ihnen erwarte. In diesem Sinn sind Führung und Anweisungen Teil der Verantwortung der Führungskraft für ihr Team und ihren Prozess. Auch das Prinzip der Freiwilligkeit in der Mediation, entbindet Führungskräfte nicht von dieser Verantwortung für ihre Mitarbeiter und Prozesse. In diesem Sinn ist es auch durchaus sinnvoll und hilfreich, für das Team die Entscheidung zu treffen und die Teilnahme an einer Mediation anzuweisen.

Ein Beispiel:

Die Geschäftsführung eines Lebensmittelherstellers wollte in einem ihrer Konzernbetriebe die Eigenverantwortung und Selbständigkeit ihrer Mitarbeiter stärken. Dazu räumt die Geschäftsführung dem Schichtleiter, den Maschinenführern und den Mitarbeitern mehr Spielräume und mehr Entscheidungsfreiheit ein.

Nach einiger Zeit stellt die Geschäftsführung fest, dass eines der Teams, am Ende seiner Schicht, bewußt die Parameter ihrer Anlage verstellt. Die Folgeschicht braucht so eine längere Vorbereitungszeit. Die Erklärung des Teams ist, man will verhindern, dass die andere Schicht, die sich nie an die Vorschriften hält, mehr verdient als man selbst, der alle Vorgaben immer strikt einhält. Die Geschäftsführung untersagte diese „Spielchen“ und drohte mit einer Abmahnung. Das andere Team und dessen Schichtleiter wurden nicht in den Klärungsprozess einbezogen. Zum einen, arbeiten diese eigenverantwortlich, zum anderen gab es auch qualitativ und hygienisch keinen Anlass zu Gesprächen oder gar Beanstandungen. Die Störungen hörten auf. Für fast 4 Wochen. Dann wurde deutlich, dass an Stelle der offenen Störung, verdeckten Schikanen getreten waren. Auch die Maschinen wurden wieder manipuliert. Einer der Maschinenführer sagte:„ … Ich brauche hier nicht mehr Freiheiten. … Ich will wissen, was ich machen darf, und das nicht. Ich brauche klare Grenzen. Wozu brauche ich einen Schichtleiter, wenn ich jetzt doch alles allein entscheiden soll?“

Wie würden Sie den Konflikt lösen? Wie würden Sie als Führungskraft entscheiden? Arbeitsrechtlich? 

Tatsächlich liegt die Versuchung nahe, solche und ähnliche Konflikte auf einem arbeitsrechtlichen Weg zu lösen. Die Geschäftsführung entschied anders. Sie ordnete eine Klärung an. Nach der Konsultation mit einem Mediationsbüro wurden die Teams und Führungskräfte durch die Geschäftsführung zu einer Mediation verpflichtet. Das heißt, die anfängliche Präsenz war verpflichtend. Sowohl der Mediator als auch der Geschäftsführer haben den Teilnehmern jederzeit die Möglichkeit gelassen, die Mediation ohne Folgen zu verlassen. Außer für einige zusätzliche Denkpausen, hat niemand die Mediation verlassen.

Die Ergebnisse waren überwältigend. Zum einen wurden zahlreiche kleinere Prozessstörungen ad hoc ausgeräumt, zum anderen wurde deutlich, wie wichtig es für die Mitarbeiter war, dass die Führungskräfte ihre Autorität wahrnehmen, Grenzen setzten und Entscheidungen treffen! Letztlich erreichten Mitarbeiter und Geschäftsführung, was sie beide wollten: ein sicheres und eigenverantwortlicheres arbeiten der Mitarbeiter.

Darf ich als Führungskraft eine Mediation anordnen? Wie kann ich, wenn ich als Mediator z.B. durch die Medien von einem Konflikt erfahre, der Geschäftsführung meine Leistungen anbieten? Es ist interessant zu sehen, wie sehr eine respektvolle und wertschätzende Führung Autoritäten „verschafft“ und den Prozess unterstützt, und wie sehr eine administrative Führung Teams und Organisationen hindert, vorgesetzte Autoritäten und Führungskräfte anzuerkennen und ihnen zu folgen. Dieses Wissen bietet erhebliche Akquisepotentiale.

Wie Sie als Mediator diese und ähnliche Fälle gewinnen, und wie Sie Ihre Fähigkeiten und Leistungen als Mediator im Kontext betrieblicher Organisations-, Team- und Führungskräfteentwicklung einsetzen können, erfahren Sie in unserem Praxis-Workshop „Verkaufen für Mediatoren“.

Thomas Reich